Fortbildung für Alle
Lernen von- und miteinander: Das interne Bildungsangebot der Stiftung Züriwerk funktioniert inklusiv – und zwar auf den Teilnehmerkreis ebenso wie auf die Kursleitung bezogen.
Erfahren Sie mehr über das konkrete Kursangebot und begleiten Sie uns zu einer internen Schulung mit inklusiver Co-Leitung.
Text und Bilder: Caroline Waldburger
LERNEN VON- UND MITEINANDER
Fortbildungsangebote nicht nur für Mitarbeitende mit Beeinträchtigung, sondern auch Bildungsangebote von und mit ihnen: Das Bildungsprogramm von Züriwerk schliesst alle internen Zielgruppen mit ein.
Einblicke in eine inklusive Schulung
«Ich bin vorbildlich. Schliesslich arbeite ich schon über 20 Jahre bei Züriwerk und habe viel Erfahrung.» Dieses Kompliment macht sich Hanspeter Roost heute selber. Er tut dies auf Aufforderung der Kursleitung in der Schulung «Umgang mit Feedback und Kritik», an der er als Mitarbeiter der Stiftung Züriwerk innerhalb seiner Arbeitszeit teilnimmt. Dabei stellt er fest, wie gut ein laut ausgesprochenes Lob tut – sogar, wenn es ein Eigenlob ist.
Lob und Kritik aussprechen und annehmen, wie funktioniert das eigentlich? Mit dieser Frage setzen sich die Anwesenden heute auseinander. Die persönliche Motivation zur Kursteilnahme ist verschieden. «Aufgrund meiner persönlichen Voraussetzungen verstehe ich vieles falsch», sagt Ivan Bolli. «Deshalb möchte ich lernen, wie ich eine Aussage richtig deute. Das ist für mich ein wertvolles Wissen, das ich auch in meinem Team bei der Arbeit anwenden möchte.».
Geleitet wird der Kurs von einem inklusiven Dreierteam: Silvia Müller ist Fachperson Bildung und regelmässige Kursleiterin. Remo von Almen ist Mitarbeiter Empfang und übernimmt die Rolle des Peer-Schulungsleiters. Und Martina Heusser, die Abteilungsleiterin der Naturwerkstatt, ergänzt das Trio mit ihrer Sicht auf den Betriebsalltag. Sie begrüssen an diesem Tag Mitarbeitende aus verschiedenen Standorten von Züriwerk, um ihnen Kompetenzen und Sicherheit im Umgang mit Rückmeldungen zu vermitteln.
Weshalb braucht es die inklusiven Bildungsangebote?
Solche internen Bildungsangebote werden Züriwerk-Klientinnen und -Klienten seit 2019 angeboten. Am Anfang stand das Motto: «Bildung für alle» und der Wille: «Das müssen wir anbieten!» Der Leitgedanke kommt nicht von ungefähr. Im Artikel 21 fordert die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) für Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen und die Übermittlung in einer geeigneten Sprache und Form.
Auch die Ost+-Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), die für die Qualitätssicherung der institutionellen Angebote für Menschen mit Behinderungen verantwortlich ist, greift das Ziel in ihren Richtlinien auf und schreibt als Qualitätsstandard fest, dass Klientinnen und Klienten adressatengerecht über ihre Rechte und Pflichten in der Institution informiert werden müssen. Die ersten Bildungs- und Informationsanliegen, die es bei Züriwerk zu erfüllen galt, waren dementsprechend:
- das für die agogische Arbeit zentrale Konzept der Funktionalen Gesundheit,
- die agogische und ethische Haltung der Stiftung sowie
- die Arbeitsformen bei Züriwerk.
Diese Anliegen waren den Klientinnen und Klienten bekannt zu machen, wobei sicherzustellen war, dass sie ihre eigenen Rechte, Pflichten, Informations- und Entwicklungsmöglichkeiten bei Züriwerk kennen.
2018 wurde die Projektgruppe ins Leben gerufen, und nach einer Planungsphase fand 2019 ein umfassendes Pilotprojekt statt.
Vorteile für alle Seiten
«Das Fortbildungsangebot war von Beginn an inklusiv gedacht», erläutert Jenny Hofmann, Leiterin Agogik, «und die Kursleitung wurde immer in einem Co-Teaching-Team von Fachpersonen und Peers geplant. Davon profitieren alle Seiten: Die Peers im Teaching-Team bringen ihre eigenen Erfahrungen direkt ein und schlagen eine direkte Brücke zu den Teilnehmenden. Auch bringt ihnen die Rolle als Peer-Schulungsleiter einen persönlichen Gewinn durch neue Tätigkeiten als Schulungsleitende und den Ausbau ihrer Kompetenzen in diesem Bereich.»
«Ich habe bereits im Pilotprojekt mitgewirkt», erzählt Remo von Almen, Peer-Schulungsleiter der ersten Stunde, «und bin mittlerweile bei drei verschiedenen Kursangeboten als Co-Leiter dabei. Vor dem ersten Kurs war ich etwas nervös, aber meine Theatererfahrung hat mir geholfen, vor die Leute zu stehen. Nun macht es mir grossen Spass, es ist für mich eine tolle Abwechslung vom Alltag.
Aber ich finde die Aufgabe auch wirklich wichtig. Früher lief immer alles über die Fachpersonen. Das hat mich gestört, denn ich will, dass kein Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gemacht wird. Deshalb habe ich beschlossen, aktiv zur Partizipation beizutragen. Die gegenseitige Information, das Teilen von Wissen und Erfahrungen unter Peers, ist mir ein persönliches Anliegen.»
Das Angebot wird etabliert
Nachdem das Pilotprojekt den Bedarf bestätigt und zur Optimierung des Konzepts beigetragen hatte, kam die Corona-Pandemie und damit eine Zwangspause für die Schulungen vor Ort. Ab 2022 wurde das Fortbildungsprogramm jedoch offiziell gestartet.
Es setzte drei grundlegende Ziele um:
- die Zugänglichkeit für möglichst viele Personen und die Durchführung an verschiedenen Standorten,
- eine adäquate sprachliche Umsetzung und verständliches Informationsmaterial,
- die Vermittlung von Standardschulungen sowie aktuellen Themen.
Inhaltlich kamen zu den ursprünglich auf die Stiftung bezogenen Informationen allgemeine Themen rund um Rechte, Teilhabe, Inklusion und Arbeit hinzu. Das Angebot wird nun laufend aufgrund der Teilnehmendenzahlen und einer jährlichen Bedarfsumfrage optimiert. Nicht im Portfolio sind freizeitbezogene Kurse wie Sport- oder Kulturangebote, da in diesem Bereich bereits ein kleines internes Angebot im Wohnbereich und ein breites Angebot von Pro Infirmis und anderen Organisatoren besteht.
Stimmen der Teilnehmenden
Zurück in den Schulungsraum. Nach einem ersten Theorie-Input kommt die Diskussion schnell in Gang. Alle Teilnehmenden kennen den Wunsch nach einer rücksichts- und respektvollen Ansprache auch bei negativen Rückmeldungen. Und sind sich bewusst, dass Lob und Kritik eine «Zweibahnstrasse» ist, und dass sie ihren Part vielleicht auch noch besser machen könnten. «Man muss auch selber wissen, wie man etwas am besten sagt.», meint Pasquale Guarino. Eine vorgeschlagene Faustregel wird abgewägt: Nach zehnmal Lob liegt eine angebrachte Kritik gut drin. «Aber natürlich ist die Idee nicht, sich zehn Komplimente auszudenken, wenn man eigentlich eine Kritik loswerden möchte. Man sollte lieber laufend anerkennen, was gut läuft, und das nicht einfach als selbstverständlich nehmen.» Die Teilnehmenden sind mit grosser Aufmerksamkeit dabei und üben das gegenseitige Ernstnehmen und das richtige Loben gleich vor Ort. Die Stimmung ist äusserst freundlich.
«Ich finde, Gleichstellung ist wichtig. Deshalb braucht es auch die Schulung für Mitarbeitende», sagt Hanspeter Roost in der Pause. «Ich will Kurse machen wie Fachpersonen. Wir können auch lernen. Niemand soll sagen, wir können das nicht verstehen.» Auch Ivan Bolli ist hochmotiviert: «Mich interessiert generell alles, was mit Menschen und Psychologie zu tun hat. Es ist wichtig, die Theorie zu kennen, dann kann man diese später anwenden. Ich werde auch selber eine Ausbildung zum Peer-Berater machen.» Nicht nur Ivan und Hanspeter schätzen das Bildungsangebot, das zeigt die Anzahl der Teilnehmenden.
Und wie geht die Entwicklung weiter?
Nicole Hofmann, Leiterin Bildung, ist zufrieden mit der Entwicklung: «Wir sind sehr stolz auf unser gewachsenes Angebot. 2023 wurden 11 interne Schulungen zu 7 Themen mit über 80 Teilnehmenden durchgeführt».
Und an Ideen für die Zukunft mangelt es nicht. «Diversifizierungsbedarf sehen wir bei den Zielgruppen Atelier-Mitarbeitende und Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen. Hier sind zum Teil andere Kommunikationsformen gefragt, deshalb planen wir in Zukunft spezifische Angebote für diese Gruppen. Aber einen anderen wichtigen Schritt setzen wir bereits im Bildungsprogramm 2024 um, in dem wir auch inklusive Kurse mit einem aus Fachpersonen und Klientinnen und Klienten zusammengesetzten Zielpublikum anbieten.»
Das Kursangebot 2024 für Mitarbeitende
Das inklusive Kursangebot umfasst 18 Schulungen an 46 Terminen, z. B.
- Einführung in die IT
- Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
- Selbstorganisation: Tools kurz erklärt
- Unterstützte Kommunikation Walk-in
- Medienkompetenz stärken
- Woher kommt mein Geld?
- Umgang mit Feedback
Die Entwicklung des Züriwerk-Bildungsangebots | 2023 | 2024 |
Interne Schulungen / Durchführungen total | 9 / 14 | 29 / 50 |
Interne Schulungen inklusiv / Durchführungen | 1/ 3 | 9 / 36 |
Interne Schulungen für Klientinnen und Klienten / Durchführungen | 8 / 11 | 9 / 10 |
Interne Schulungen mit inklusiver Co-Leitung / Durchführungen | 8 / 11 | 11 / 14 |