Schlüsselfaktoren und Herausforderungen
Wie bleibt ein Wohnbetrieb finanziell gesund?
Daniela Da Rugna, Geschäftsbereichsleiterin Wohnen, gibt einen Überblick über die zentralen Fragestellungen.
Schlüsselfaktoren und Herausforderungen
FÜR EINEN FINANZIELL GESUNDEN WOHNBETRIEB
Daniela Da Rugna, Geschäftsbereichsleiterin Wohnen, arbeitet seit 2023 in der Stiftung Züriwerk.
Text DANIELA DA RUGNA
In der Stiftung Züriwerk wohnten per 31.12.2023 190 Personen. Sie leben an einem von 14 verschiedenen Standorten im Kanton Zürich – sei dies allein in einer Wohnung, zu zweit, als Paar, in einer Wohngemeinschaft als Teil einer Gruppe oder Genossenschaft oder in einem klassischen «Wohnheim». Egal in welcher Wohnform die Menschen leben, es ist ihr Zuhause – ihr Rückzugsort. In ihrem Zuhause sollen sie sich geborgen, sicher und wohl fühlen. Das ist unser Anspruch. Doch wie können wir als Stiftung dieses Zuhause finanzieren? Welche Schlüsselfaktoren spielen dabei eine Rolle?
Durchlässigkeit – Win-win für die Bewohnenden und die Stiftung
Menschen mit Beeinträchtigung sollen selbstbestimmt wählen, wie und mit wem sie wohnen möchten. Sie sollen ihre Wohnform je nach Lebensabschnitt, persönlicher Entwicklung und sich ändernden Bedürfnissen anpassen und wechseln können. Die Stiftung Züriwerk hat vielfältige Angebote, die sich für Wohnform-Wechsel und Anpassungen der persönlichen Lebenssituation anbieten. Wir sind stolz auf diese Vielfalt und die Möglichkeit der «Durchlässigkeit», wie wir die gängige Praxis der Wohnform-Wechsel innerhalb unserer Stiftung nennen. Wenn wir diesen Anspruch aus finanzieller Sicht betrachten, ist es relevant, dass die Wohn- und Begleit-Situation sowie der individuelle Unterstützungsbedarf einer Person zusammenpassen. Es ist selbstredend so, dass ein umfassend begleitetes Wohnangebot mit einem adäquaten Personalschlüssel ausgestattet ist und entsprechende Personalkosten anfallen. Das heisst auch, wir müssen vermeiden, dass Menschen, die wenig Unterstützung brauchen, einen Wohnplatz für Personen mit umfassendem Hilfebedarf «besetzen». In einem solchen Fall können wir weniger Leistungen abrechnen, als der Wohnplatz uns kostet. Für einen finanziell gesunden Wohnbetrieb kommt es deshalb auf die richtige Zusammensetzung der Bewohnenden und der Anzahl Fachpersonen in einem Wohnangebot an. Ein Einstufungssystem, welches den Betreuungsbedarf einer Person ermittelt, zeigt uns auf, wie viele Subventionen erwartet werden können, und ist somit der direkte Schlüssel für die Ermittlung der Fachpersonalressourcen. Dieses Einstufungssystem heisst Individueller Betreuungsbedarf, kurz IBB. Wie dieser ermittelt wird, wird ausführlich im nächsten Beitrag beschrieben.
Stabile Teams – Schlüsselfaktor und sehr gesucht
Alle Menschen brauchen neben Abwechslung und Veränderung auch Routine und Vorhersehbarkeit sowie eine gewisse Sicherheit und Ruhe für die eigene Entwicklung. Für Personen, die in einer Einrichtung leben, sind stabile Teams zentral. Konstante Begleitpersonen, die die Bedürfnisse der einzelnen Bewohnenden kennen und sie – auch nonverbal – verstehen, sind zweifelsfrei ein hoch bedeutungsvoller Faktor für ein gutes Zuhause. Doch der Fachkräftemangel hat auch vor der Stiftung Züriwerk nicht Haltgemacht. Im Jahr 2023 fehlten der Stiftung Züriwerk in allen Abteilungen immer wieder Fachpersonen. Sei dies wegen Kündigung, Krankheit oder unfallbedingt. Viele Rekrutierungen, Einarbeitungszeiten, Teambildung, Vertrauensarbeit mit Klientinnen und Klienten kosten uns jährlich viel Zeit und Geld. Und die verbleibenden Fachpersonen und Teams sind stark gefordert. Sie leisten Überstunden, haben weniger Zeit für Zusatzaktivitäten wie Ausflüge oder individuelle Begleitungen und sind insgesamt sehr stark belastet. Solche angespannten Situationen können wiederum bei den Bewohnenden zu Anspannung und erhöhtem Unterstützungsbedarf führen. Angehörige melden sich und fordern – teilweise zu Recht – mehr Präsenz der Fachpersonen ein. Die Stiftung Züriwerk kann keinen direkten Einfluss auf den Arbeitsmarkt nehmen. Im Fokus steht weiterhin, dass wir auf unterschiedlichen Ebenen die nötigen Massnahmen und Instrumente entwickeln. Dazu gehört, dass wir Arbeitsbedingungen bestmöglich attraktiv gestalten, dass wir in unsere Kultur der Wertschätzung und Anerkennung investieren und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe fördern. Und wir schaffen noch mehr Möglichkeiten, bei uns Ausbildungen und Praktika zu machen – auch für Quereinsteigerinnen und -einsteiger –, und finden Lösungen, um Notzeiten zu überbrücken.
Sorgfältiger Eintrittsprozess – braucht Zeit, aber zahlt sich aus
Ein freier Wohnplatz bringt uns monatlich im Schnitt 7900 Franken, also pro Jahr rund 95‘000 Franken Ertrag. Unser Ziel ist klar: die Besetzung aller freien Wohnplätze. Dafür haben wir 2023 unseren Eintrittsprozess angepasst. Eine Wohnplatzbesetzung erfordert Zeit und ein wirksames Zusammenspiel unterschiedlicher Stellen und Faktoren. Wir legen in der Stiftung grossen Wert auf die Schnupperzeit. Zwischen zwei bis drei Wochen schnuppern zukünftige Bewohnende. So kann man sich gegenseitig kennenlernen. Die Chemie muss stimmen. Ungünstige Gruppenzusammensetzungen führen zu viel Unruhe und häufig wieder zu Wechseln und leeren Wohnplätzen. Dies ist auch für die Menschen mit Beeinträchtigung oftmals mit viel Stress verbunden. Mit einer Auslastung von 94.9 Prozent und einer Steigerung im Jahr 2023 um 0.6 Prozent können wir sagen, dass unser Matching erfolgreich ist, sich die Bewohnenden bei uns wohlfühlen und ein Zuhause haben. Selbstverständlich bleiben wir auch im Jahr 2024 daran, unseren Eintrittsprozess weiter zu optimieren.
Angebotsentwicklung kostet – Spenden und Fördergelder
Wir begleiten die Bewohnenden nach deren individuellem Bedarf, und für diese Leistungen haben wir mit dem Kanton eine Leistungsvereinbarung, sprich wir erhalten geregelte kantonale Beiträge. Daneben sind wir angehalten, unsere Angebote weiterzuentwickeln, auszubauen oder dem veränderten Bedarf anzupassen. Zudem wollen wir fachliche Entwicklungen oder Erneuerungen aufnehmen. Und insbesondere dabei sind wir auf zusätzliche Gelder angewiesen. Sie geben uns das Plus für eine innovative Weiterentwicklung unserer Angebote zugunsten der Lebensqualität der Bewohnenden. Im Jahr 2023 konnten wir für diverse Projekte Förder- und Spendengelder gewinnen und dadurch innovative Projektelancieren. In Grüningen entsteht so ein Sinnes- und Erlebensangebot für Menschen mit schweren Beeinträchtigungen. Das Pilotprojekt «Zentrum für Lebensqualität im Alter für Menschen mit Beeinträchtigung» in Bubikon können wir zu hundert Prozent über Projektfördergelder finanzieren. Mehr dazu lesen Sie auf Seite 33.
Wie geht es weiter?
Die Finanzierung unserer Wohnplätze hängt von vielen Schlüsselfaktoren ab. Die nicht monetären Faktoren wie ein stabiles Fachpersonenteam, eine gute Gruppenzusammensetzung oder zufriedene Bewohnerinnen und Bewohner, die beispielsweise auch im Alter eine erfüllende Tagesstruktur haben und sich auf der Wohngruppe zu Hause fühlen, sind nicht nur aus finanzieller Sicht zentrale Faktoren, sondern prägen auch unsere Haltung und Arbeitsweise.
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz (SLBG), welches am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, geht der Kanton Zürich einen weiteren Schritt Richtung Selbstbestimmung. Menschen mit Beeinträchtigungen sollen zunehmend selbst bestimmen, ob sie in einer Einrichtung wohnen möchten oder lieber in einer eigenen Wohnung mit selbst gewählter Begleitung. Personen mit Unterstützungsbedarf haben neu die Möglichkeit, diesen zu erhalten, ohne dass sie in eine Institution ziehen müssen. Die Stiftung Züriwerk wird im Zürcher Oberland ein Pilotprojekt als ambulante Anbieterin starten. Wir wissen noch nicht, wie viele Bewohnende der Stiftung, wie viele neue Klienten sich für ambulante Dienstleitungen interessieren und wie viele Anbieter es geben wird. Wir als Stiftung Züriwerk möchten aber diesen innovativen Weg gehen und sind gespannt auf das Pilotprojekt, auch wenn heute noch unklar ist, wie die finanziellen und organisatorischen Auswirkungen sein werden.